Seiten

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Vom Gespräch zum sinnlichen Erleben

Es geht darum, Klarheit in eine sachliche Frage zu bringen. Deswegen sitze ich jetzt hier mit Violeta. Erst im Nachhinein, als wir sein Büro wieder verlassen haben, bemerke ich, dass die einzigen beiden Stühle die sind, die vor seinem Büro stehen. Sonst ist nur Gang. Ein dunkelbraun vertäfelter Gang, von dem die Bürotüren in gleicher Farbe abgehen. Es fällt zuerst nicht auf, dass es ausser dem Gang noch etwas anderes hier gibt.
Violeta und ich arbeiteten uns Türschild um Türschild voran. Irgendwann erreichten wir das Zimmer 283. Sekretariat. Aha. Zuerst Sekretärin, dann zum Boss.
Die Türe zu ihr ist offen und ich melde uns an.
"Nehmen sie bitte draussen Platz", ein mitleidiger Blick folgt uns.

Er wird als Spinner beschrieben, der die MitarbeiterInnen verfolgend kontrolliert.

So sitzen wir beiden denn nun auf den Sesseln vor der Tür und warten dass er uns herein bittet.
Ich bekomme Stress, denn es geht heute um viel Geld.
Violeta und ich haben vor einigen Jahren, als sie ihre Wohnung bezogen hat, um eine Beihilfe angesucht, die ihr auch gewährt wurde. Von 2013 bis März 2015. Wir habe immer darauf geachtet, dass alle Lohnzettel und Bezugsbestätigung auf dem Amt eingegangen sind. Jede Änderung gemeldet. Als dann im April 2015 ihr Sohn zu ihr zog, war das Haushaltseinkommen für die Förderung zu hoch und wir meldeten die Sachlage sofort.
Im Sommer 2016 flattert ihr dann ein Brief ins Haus, dass sie 300.- zurückzahlen muss. Es war nicht nachvollziehbar wieso, und warum es jetzt nach über einem Jahr zu dieser Rückforderung kommt. Unsere Bemühungen die Sachlage zu klären verliefen ins Leere.
Vor drei Wochen kam dann der Brief, dass sie die Einkommensbescheide vom Finanzamt vorzulegen habe. Und auf einmal hat sie nicht mehr ein Einkommen von 5000.- im Jahr gehabt, sondern eines von 12.000.-. Und die Berechnung des Amtes war für 2014 und 2015 gleich hoch.
Schockschwerenot.
Sie wird ersucht, sich einen persönlichen Termin auf dem Amt für die Förderung auszumachen.
Ja da gehe ich doch mit.

Die Türe öffnet sich und ein Mann im Anzug bittet uns herein. Noch vor seinem Schreibtisch steht ein Tisch, an dem wir drei Platz nehmen.
Er findet den Akt nicht und entwickelt Stress. Schießt herum und sucht in den Schränken. Erst als ihm die Sekretärin sagt, wo er suchen soll wird es was. Hat wohl einen leichten Saustall in seiner Aktenordnung. Also so perfekt ist der nicht.

Ich erkläre die Sachlage und dass es für uns nicht ersichtlich ist, wie es zu den errechneten Summen kommt, den wir sehen es so und so.
Kein Schlagabtausch findet statt, denn dem gehe ich nicht auf dem Leim. Ich will die Sache verstehen.
Da sind wir gleich auf einer ganz anderen Ebene.
Und so sehen wir uns an und jeder erklärt seine Sichtweise und er die Rechtslage noch dazu.
Ich  merke mit der Zeit, dass es uns beiden gefällt was wir am jeweils anderen sehen.
Aber nur nicht weichen in der Sache.
Keine Sturheit zeigen, aber die eigene Sachlichkeit und die Berechnung und Sichtweise halten, solange bis ich verstehe was er meint.
Wir reden und blicken uns in die Augen. Ich beginne den Menschen bei ihm zu sehen und nehme seine Gesichtszüge immer intensiver wahr.
Er holt seinen Gesetzestext und schiebt ihn in die Mitte des Tisches und auf einmal wird der Tisch immer kleiner.
Wir suchen die Paragraphen, verweisen gegenseitig auf die Definitionen. Unsere beiden Hände kommen sich auf den Papieren immer näher. Er saugt meine Hand auf mit seinen Augen. Unsere Köpfe tauchen zusammen und irgendwie ist nicht mehr viel Tisch übrig.
Ich weiß irgendwann, was er meint, auf was er sich bezieht.Trotzdem kann ich jetzt kein Zugeständnis machen und sage ihm, dass ich verstehe und mir im Büro die Zahlen durchrechnen muss.
Ich merke, dass er den Respekt nicht vor mir verliert.
Und er lässt mich trotzdem nicht gehen und beginnt unseren Tanz von neuem.
Er weiß es, dass er mich berührt.
Er läßt nicht locker und ich will mich wieder aus der juristischen Situation retten und sage ihm, dass ich mir im Büro alles in Ruhe  ansehen und durchrechnen werde.
Die Sinne laufen auf Hochtouren.
Wie er wohl schmeckt.
Er lässt mich nicht gehen und verwickelt mich wieder in das Lesen der Paragraphen und die Erklärungen, die ich bereits kenne und die mir klar sind.
Weit entfernt ist er nicht mehr von mir und mir fällt auf, dass wir beide über dem Tisch hängen und sehr nahe sind.
Ich will ihn riechen und ich will ihn schmecken und ich will ihn spüren. Und ich weiß, dass er es weiß.
Dann lässt er ab von mir und macht mir ein Angebot für das Jahr 2013.
Ich bekomme Angst, dass es dann noch schlimmer um die Berechnungsgrundlage von Violeta wird.

Wir vereinbaren bis wann ich ihm die Erklärung 2013 zuschicke und er meint, ich soll dann zu ihm kommen, damit wir die Berechnung miteinander durchgehen. Von Violeta soll ich mir eine Vollmacht für ihre Vertretung geben lassen.

Ich bedanke mich für die Zeit, die er sich für uns genommen hat und merke eine Irritation und ein Erstaunen in seinen Augen. Ja, ja, dass ist für ihn möglicherweise nicht verständlich, dass jemand seine Zeit achtet :-)
Aber ich hätte das auch gesagt, wenn das Gesprächsklima anders verlaufen wäre. Höflichkeit zu wahren macht ein nächstes Treffen einfach entspannter.

Er gibt mir die Hand und ich mag es, wie er sie drückt.

Violeta fällt aus allen Wolken, wie wir draußen sind. Ich habe sie wohl manchmal wahrgenommen, aus den Augenwinkeln.










2 Kommentare:

  1. Ui, das war aber eine nette Begegnung, was?

    Ja, wenn man Menschen gleich mit einer anderen Haltung, also wie Du, mit Achtung und Respekt, begegnet, dann kann es gleich viel besser laufen. Jedenfalls erlebe ich das im Alltag auch oft.

    Und alles andere - es gibt diese Momente, wo die Anziehung zwischen zwei Menschen einfach da ist, wo es prickelt. Manchmal reicht allein so ein kleiner Moment schon aus, um den Tag zu verschöenern.

    Für Violeta hoffe ich, dass sie nicht noch mehr wird nachzahlen müssen :(

    Liebe Grüsse
    Clara

    AntwortenLöschen