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Sonntag, 22. Oktober 2017

Blutverschmiert

Es war die erste Arbeitswoche, in der ich nicht 10 Stunden am Stück auf Arbeit war. Dienstag und Mittwoch habe ich die Nachmittage durchgeschlafen, obwohl strahlender Sonnenschein und blauer Himmel mit 22 Grad Wärme draussen war. Ich wollte meine Ruhe, habe das Schlafzimmer abgedunkelt und 4-5 Stunden geschlafen.
Am Abend bin ich zum Abschalten noch kurz fortgegangen
Würde einige gute Geschichten abgeben, wenn ich mir die Zeit nehmen würde sie aufzuschreiben. Gleich, damit das Erlebte noch authentisch beschrieben wird und sich die Hälfte noch nicht verabschiedet hat.

Ein eindrucksvolles Erlebnis hatte ich am Donnerstag.

Mir ging ein Klient schon die zweite Woche ab, und ich hatte den Eindruck, dass ich in seine Wohnung nachsehen gehen soll.
So fahre ich hin zu ihm, gehe die Stufen in den dritten Stock hinauf und sehe, dass die Tür nur angelehnt ist. Ich läute mehrmals aber er kommt nicht an die Tür. Alles ist ruhig. Trotzdem ich kann nicht einfach gehen bei der offenen Tür. Da muss ich hineinschauen. Ich fürchte mich, fürchte mich bei so was immer. Wer weiß was mich da drinnen erwartet und zum Schluss treffe ich auf Einbrecher oder andere Gestalten. Trotzdem, ich muss die Türe aufstippen. Niemand ist im Vorraum und ich gehe vorsichtig weiter. Sehe in das Bad hinein, niemand ist drinnen, dann komme ich in den Wohnraum, vorsichtig schaue ich ums Eck. Und da sehe ich ihn liegen, am Boden, alles voll Blut, eine Orgie von Blut. Mehr brauche ich jetzt nicht.
Aber er rührt seinen Kopf, als ich ihn anspreche. Ich stehe da und weiß nicht, was ich zuerst machen soll. Gehe aber zu ihm und merke, dass er registriert, dass jemand da ist. Er hebt seine Lider und dreht den Kopf zu mir.
Was ist da passiert? Ich sehe, dass er seine Beine aufgeschlitzt hat. Überall sind Schnitte, die tief ins Fleisch gehen. Kein Wunder, das alles voll Blut ist. Ich bemerke, dass es bereits gestockt ist.
Zum Glück habe ich mein Handy heute dabei und kann die Rettung anrufen.

Ich knie neben ihm und streiche ihm über die Haare. Es wird alles gut werden.
 "Es tut mir leid."
 "Es wird alles gut."
 "Es tut mir leid."
Es wird alles gut.
Er zittert am Leib, und ich nehme ihn in meine Arme und beuge mich beschützend über ihn.
Es wird alles gut werden.
 "Ganga, es tut mir leid."
Danach werde ich ihn später fragen.
Jetzt wird alles gut.
Ich streichle ihn, versuche ihn zu wärmen.
Es wird alles gut.

Irgendwann kommt die Rettung und nimmt ihn mit.
Nein, ich fahre nicht mit.

Ich sehe mich im Raum um. Viel Blut, verschmiertes Blut.
Nein, ich gehe jetzt nicht.
Ich bin erschüttert.
Blutverschmiert.

Ich entscheide mich, dass ich das Blut wegwische, dass ich sauber mache. Weil ich meine, dass es reicht.



10 Kommentare:

  1. Du meine Güte, das ist ja furchtbar. Du bist echt mutig. Dem noch die Wohnung zu säubern, ich glaube, das hätte ich nicht hinbekommen. Da muss ich Dich echt bewundern, dass Du das so machen kannst.

    Wenn ich das so lese, dann denke ich mir, kein Wunder, dass Du so k.o. bist. Da braucht es definitiv mehr entspannte Tage und auch Ruhezeiten im Bett.

    Pass gut auf Dich auf :)

    Lg
    Clara

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    1. Es war seine Not, die mich das tun lies.

      Eigentlich hätte ich jetzt einige Tage frei gehabt, ABER es ist nicht zu fassen, die restlichen zwei Kollegen sind am Dienstag krank in die Arbeit gekommen und dann, nachdem sie mich 20 Minuten angehustet und angerotzt haben, haben sie sich in den Krankenstand verabschiedet.
      Die Chefin hat daraufhin gestern meine Urlaubstage gecancelt.
      Jetzt gilt es gut zu überleben.
      Wenn es möglich ist setze ich allem Negativen einen Riegel vor.

      Liebe Grüße
      Ganga

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  2. Huch, Ganga,
    du erlebst ja Sachen!

    Liebe Grüße!

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    1. Meine Mutter wollte immer, dass ich auf eine Bank arbeiten gehe. "Da kannst du dann immer schön gekleidet sein."
      Jeder hat so seine Träume.

      Liebe Grüße
      Ganga

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  3. ich möchte dich ausdrücklich zu deiner reaktion BELOBIGEN!!!!!!! das war groß, ganz groß. und, ich hätte auch gewischt.........
    ich bin bei meinem nachbarn auch mal - mit nackten füßen - durch blut gewatet (aber das ist eine ganz andere und völlig unverzweifelte geschichte gewesen) und habe gewischt, mit wäsche von mir und war selbst völlig voll blut. habe alles weggeworfen anschließend.
    dein fall ist aber bedeutend elender......ich spüre beim lesen geradezu die verzweiflung im raum.
    m.

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    1. Es muss tiefe Verzweiflung gewesen sein, die ihn zu dieser Handlung bewogen hat und Strafbedürfnis.
      Ich mache mich gerade schlau, was es auf sich hat, wenn sich jemand so massiv selbst verletzt und habe mir ein Buch dazu bestellt.
      Es war wirklich extrem.

      Ich glaube auch, dass es wichtig war, dass ich diese Blutorgie aufgewischt habe. Das ist ja sowas von grausam in das nach Hause zu kommen. Und das Zeugs fängt ja auch an zu stinken.

      Liebe Grüße
      Ganga

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  4. Es gibt so verzweifelte Menschen um uns herum.
    Und für manche von ihnen bist du bestimmt ein rettender Engel.
    Grossartig, was du gemacht hast.
    Ich weiss nicht, ob ich das könnte...
    Herzlichen Gruss zu dir,
    Brigitte

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    1. Und oft ist niemand da, der sich mit der Verzweiflung der Menschen auseinandersetzen mag.
      Auch ich habe meine Grenze: Ich kann nicht mit Menschen die nicht mehr leben wollen.
      Und für Abenteuer bin ich immer zu haben :-)

      Herzliche Grüße
      Ganga

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  5. Ich bin erschrocken dies zu lesen.
    Und ich bin berührt. Von so vielem in dieser Geschichte.

    Gib bitte auf Dich acht.
    Ahoi und herzlichen Gruß
    Oona

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    1. Was hinzu kommt ist, dass ich ihn seit 10 Jahren kenne.

      Ja, das Acht geben auf mich ist immer wieder eine Herausforderung. Ich merke heute, dass ich mir unbedingt ein neues Shirt oder eine Bluse kaufen möchte. Vielleicht sollte ich diesem Bedürfnis nachgeben und es als "Gutes für mich tun" verbuchen. Ja, das werde ich machen, umsonst habe ich diesen starken Drang wohl nicht. Ich gehe heute noch shoppen :-)

      Ganz liebe Grüße
      Ganga

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